Nachfolger für Lauterbacher "Lesezeichen" gesucht
"Ende nächsten Jahres ist Schluss", kündigt Betreiberin Gerlinde Becker an, die sich auf mehr Zeit im Privatleben freut.
LAUTERBACH. Wenn es am schönsten ist, sollte man bekanntlich aufhören... Was Gerlinde Becker, die Betreiberin von Hessens "bester Dorfbuchhandlung", in den zurückliegenden Wochen und Monaten erlebt hat, ist wohl kaum zu toppen. Hessenweite Aufmerksamkeit bescherte ihr die Auszeichnung, der Rummel war riesengroß, ein Termin jagte den nächsten und daneben warteten auch noch das normale Geschäft im Buchladen und die in dieser Jahreszeit obligatorischen Veranstaltungen von "Der Vulkan lässt lesen", die sie seit Anbeginn der Literaturreihe in Lauterbach mitbetreut.
"Eine Zeit der Höhenflüge, die mich aber auch viel Kraft und Energie gekostet hat", beschreibt es die 59-jährige Buchhändlerin, die schon seit längerem mit dem Gedanken gespielt hat, den Laden möglichst bald in andere, gute Hände zu übergeben, um sich in ihrem bisher zu kurz gekommenen Privatleben endlich anderen Dingen widmen zu können. "Ende nächsten Jahres ist Schluss", kündigt die Grebenauerin an. "Im Jahr 2024 bin ich 30 Jahre selbstständig und werde 60 Jahre alt. Ein guter Zeitpunkt also, um aufzuhören", findet Gerlinde Becker. Die Entscheidung sei über einen längeren Zeitraum gereift. "Dann kam der Preis dazwischen, und ich habe noch mal kurz gezuckt", beschreibt sie das Wechselbad der Gefühle in den zurückliegenden Monaten und die Überlegungen: "Soll ich oder soll ich nicht aufhören...."
Im jüngsten Urlaub dann sei die Entscheidung endgültig gefallen. Während ihr Mann auf ihr Geheiß hin wandern gegangen sei, habe sie zu Hause aufgeräumt, geputzt und Sachen sortiert, "um mich dabei selber zu sortieren", gesteht die Mutter zweier erwachsener Söhne lachend. Endlich mal Zeit haben, das habe sie sich gewünscht, sagt Gerlinde Becker - Zeit haben für die im Frühjahr geborene erste Enkelin beispielsweise, die sie seit deren Geburt viel zu selten gesehen habe, Zeit für sich selber und für Dinge, zu denen sie selten oder bisher zumeist nur am Wochenende kam.
Eine Buchhandlung zu führen, beschere viel Freude, bedeute aber auch viel Arbeit, betont Gerlinde Becker, und dieser Anforderung gerecht zu werden, falle ihr mit zunehmendem Alter leider auch nicht leichter. Neben dem normalen Geschäft werde auch die Betreuung der Social-Media-Kanäle immer umfangreicher. "Ich habe etwa rund 1000 WhatsApp-Kontakte, die ich über Neuigkeiten informiere oder über die bei mir Bestellungen eingehen", berichtet die Buchhändlerin, die, um ständig up to date zu sein, extra schon eine Apple-Watch am Handgelenk trägt, um die eingehenden Nachrichten nicht zu verpassen.
Ihre Entscheidung, aufzuhören und das Leben in absehbarer Zeit anders zu genießen, steht für die 59-Jährige unumstößlich fest. Der Vermieter ist informiert und hofft genau wie das gut aufgestellte Lesezeichen-Team auf eine engagierte Nachfolge für die Inhaberin.
"Ich suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin", sagt Gerlinde Becker, der oder die nicht unbedingt eine Ausbildung zur Buchhändlerin oder zum Buchhändler haben müsse, aber die Liebe zum Buch und zu den Menschen mitbringen sollte. Und sie wirbt für eine Fortführung unter neuer Leitung, der sie in einer Übergangszeit auch gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen würde. "Was ja eine Chance für jemand Neues wäre, sich richtig einzuarbeiten. Gerne gebe ich das Wissen weiter, das ich mir über Jahre erworben habe, in denen ich manches - die Buchhaltung etwa - mühsam lernen musste." Dass es weitergeht mit ihrem Buchladen, hofft sie inständig - wohlwissend, dass eine Schließung ein echter Verlust für Lauterbach wäre.
Gerlinde Becker hat ihren Schritt in die Selbstständigkeit nie bereut, "weil ich meinen Beruf immer geliebt habe", sagt die Buchhändlerin, die niemals nur Bücher verkauft hat, sondern immer auch gestalten wollte. Schon der selbst gewählte Name der Buchhandlung war Programm.Lesezeichen aus dem "Lesezeichen" mit Bildern von Künstlern aus der Region sind längst zum Markenzeichen geworden, ebenso wie viele andere Dinge, für die sie sich begeistern und zu denen sie sich inspirieren ließ. Immer wieder neue Ideen wurden in ihrem Buchladen geboren und umgesetzt, die das kulturelle Leben in Lauterbach und der Region bereichert und den Spaß am Lesen gefördert haben. Die Vielfalt sei das Besondere an ihrem Beruf, verrät Gerlinde Becker, toll und erfüllend seien die interessanten Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen und die Möglichkeit, andere für Literatur zu begeistern, mit der man immer am Puls der Zeit sei.
Trotz noch ungewisser Zukunft des "Lesezeichens" beschert ihr die endgültige Entscheidung für einen neuen Lebensabschnitt ein "gutes Gefühl". Sie freue sich darauf, morgens ohne Zeitdruck in den Tag zu starten, Zeit für viele bisher verpasste Dingen zu haben und Bücher nicht mehr lesen zu müssen, um sie weiter zu empfehlen, sondern nur noch das zu lesen, was ihr Spaß und Freude mache.
Aber Gerlinde Becker wäre nicht Gerlinde Becker, wenn sie nicht auch für den "Ruhestand" schon wieder neue Ideen hätte: "Aber zuerst hätte ich gerne einmal Freizeit für eine richtig lange Wanderung."
Quelle: Oberhessische Zeitung